Akademievorlesungen im Wintersemester IAG Gentechnologiebericht GENTECHNOLOGIE IN DEUTSCHLAND Karl Sperling und Rolf Becker

26. Januar 2006

Akademiegebäude, Einstein-Saal

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Zur Einführung:

Gentechnologie ist keine Hochtechnologie wie andere. In weiten Bereichen der Grundlagenforschung, der medizinischen Diagnostik und Forensik und der Wirtschaft fest etabliert, sind ihre möglichen Anwendungen in der Landwirtschaft und in der humanmedizinischen Therapeutik umstritten und umkämpft. Ist Deutschland hier Vorreiter eines sensiblen Umgangs mit einer Risikotechnologie oder fällt es ohne Not aus spezifischen Gründen auf einem Gebiet zukunftsweisender Innovation zurück? Unbestritten tun wir Deutschen uns hier besonders schwer. Die Akademievorlesungen gehen den spezifisch deutschen Befindlichkeiten und dem Stand der Technik u. a. auf den Gebieten der "Grünen Gentechnik", der medizinischen Diagnostik und der Stammzellforschung in unserem Lande nach. Sie analysieren diesen Konflikt, indem sie Naturwissenschaftler, Mediziner und Ethiker zu einem interdisziplinären Diskurs vereinigen.


Karl Sperling, Leiter des Instituts für Humangenetik, Charité - Universitätsmedizin Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften:

"Nachweis von Krankheiten vor der Geburt: Medizinischer Fortschritt oder gesellschaftlicher Rückschritt?"

 

Zusammenfassung: Die Einführung molekulargenetischer Methoden hat eine neue Ära in der
Medizin begründet. So können krankheitsrelevante genetische Veränderungen im Prinzip an einer einzigen Zelle und zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung nachgewiesen werden. Dies kann zu besserer Behandlung, bzw. zur Prävention von Krankheiten führen. Bei pränataler Diagnostik (PD) kann es von Bedeutung sein, ob ein betroffenes Kind geboren, bei der Präimplantationsdiagnostik (PID), ob ein Embryo übertragen werden soll.

Die PID kann aus humangenetischer Sicht als eine vorgezogene PD angesehen werden. In biologischer Hinsicht gibt es mehrere Unterschiede, da die PID nur in Verbindung mit einer in vitro Fertilisation (IVF), zum Ausschluß monogen bedingter Krankheiten am sichersten nach einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion in die Eizelle (ICSI), vorgenommen wird. Der diagnostische Aufwand ist außerordentlich, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Bei der PD kommt die Schwangerschaft auf natürliche Weise zustande, die Diagnostik ist gut etabliert. Aus juristischer Sicht besteht in Deutschland allerdings ein entscheidender Unter-schied, die PID ist strafrechtlich verboten, die PD nicht.

Die PID eröffnet die Möglichkeit, eine Auswahl unter den frühen Embryonen zu treffen. Die Kritiker sind überzeugt, daß damit ein Selektionsprozeß beginnt, wonach Kinder nur noch als auf Wunsch bestellbare Produkte angesehen, oder die Embryonen sogar genetisch verändert würden. Diese Einwände beziehen sich nicht auf die PID an sich, sondern auf deren antizipierte Konsequenzen. Der Ausschluß einer schweren genetisch bedingten Krankheit ist allerdings etwas vollkommen anderes als die Auswahl nach einer gewünschten Eigenschaft, ganz zu schweigen von der gezielten Erzeugung von Kindern mit bestimmten Fähigkeiten durch genetische Manipulation.

Anderenorts zählt die PID bereits heute zur medizinischen Versorgung. Hierfür gibt es gute ethische Gründe. Die Angst vor apokalyptischen Visionen, die wenig mit der Realität zu tun haben, sollte nicht dazu führen, daß bei uns einer kleinen Minderheit die Hilfe versagt wird. Es kommt auf den Kontext an, in dem die PID ebenso wie die PD angeboten und durch-geführt werden.

Es versteht sich von selbst, daß ein Schwangerschaftsabbruch nicht wissenschaftlich be-gründet werden kann, sondern eine Wertentscheidung voraussetzt. Hierbei sollte berücksichtigt werden, daß es in einer pluralistischen Gesellschaft auch einen Pluralismus an Wertvorstellungen gibt. Allerdings würde unsere Rechts- und Wertwelt umgekehrt, wie Ernst Benda betont, wenn es Schuld bedeuten sollte, wenn künftig behindertes Leben zur Welt kommt. Wer „ja“ sagt zu PID und PD muß zugleich „ja“ sagen zur Integration der Be-hinderten in unsere Gesellschaft. Auf diese Weise verbinden sich medizinischer und gesellschaftlicher Fortschritt. Diese Entwicklung kritisch zu observieren, betrifft einen Aspekt des Monitoring-Systems zur Gentechnologie der BBAW .

 

Rolf Becker, Professor für Gynäkologie, Charité- Universitätsmedizin Berlin: "Pränatale Diagnostik - aus der Sicht des Gynäkologen"

 

Zusammenfassung: Pränatale Medizin ist ein junger Teilbereich der Medizin, der in den letzten Jahren insbesondere aufgrund der Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik, speziell der Ultraschalldiagnostik, eine rasante Entwicklung durchgemacht hat, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Neben den Möglichkeiten der invasiven Diagnostik (Amniocentese, Chorion-zottenbiopsie oder Fetalblutentnahme) haben die Methoden der nichtinvasiven Diagnostik an Bedeutung gewonnen. Auch treten zusätzlich zu den diagnostischen Methoden inzwischen immer mehr therapeutische Möglichkeiten in den Vordergrund.

Konsequenzen pränataler Diagnostik sind

  • Ausschluß von Anomalien, Ermöglichen einer angstfreien Schwangerschaft
  • Vorbereiten der Eltern auf eine angeborene Anomalie (z. B. Lippenspalte)
  • Ermöglichen einer intrauterinen Therapie (z. B. Transfusionen bei fetaler Anämie)
  • Beeinflussung von Geburtsart, -ort und –zeitpunkt (z. B. vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft bei Unterversorgung des Feten, Entbindung im Herzzentrum bei angeborenen Herzfehlern)
  • Vorhersage von Schwangerschaftskomplikationen

Neben diesen Auswirkungen, die sowohl Erkrankungen der Schwangeren als auch des Feten positiv beeinflussen und in manchen Fällen lebensrettend sein können, werden bei Untersuchungen im Rahmen der nichtinvasiven wie invasiven Pränataldiagnostik auch Befunde erhoben, bei denen eine Hilfe nicht möglich ist. Damit kann in der Folge der Pränataldiagnostik je nach Schweregrad der vorgefundenen Anomalie ein Interessenkonflikt zwischen den Interessen der Schwangeren und des ungeborenen Kindes entstehen, in dem die Schwangere ihr Recht geltend macht, sich gegen das Austragen der Schwangerschaft zu entscheiden. Insbesondere diese Seite der Pränatalmedizin gibt Anlaß zu kritischem Hinterfragen insbesondere auch auf der Basis der neuen Möglichkeiten, in denen z. B. eine Geschlechtsbestimmung schon im ersten Schwangerschaftsdrittel möglich ist. Die zunehmend exakter werdende Pränataldiagnostik erweckt Befürchtungen bei denen, die eine Entwicklung hin zur Ablehnung von Krankheiten und Anomalien insgesamt zu erkennen glauben. Insbesondere vor dem Hintergrund unserer neueren Geschichte werden die Möglichkeiten der Pränatal-diagnostik in die geistige Nähe von Euthanasie, Eugenik und Selektion gerückt.

Der Vortrag setzt sich zum Ziel, zu zeigen, welche konkrete Konfliktsituationen in der pränatalmedizinischen Praxis auftreten und wie auf dem Stand der derzeitigen juristischen und ethischen Sachlage vorgegangen wird.


Veranstaltungszeitraum:

18.30 Uhr

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