Die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Spannungsfeld von Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Akademien der Wissenschaften bis 1945

Peter Nötzoldt

Zur Etablierung der Schwerpunktförderung Mitte der 1920er Jahre

Das Projekt ist Bestandteil eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Vorhabens zur Aufarbeitung ihrer Geschichte. Das Gesamtprojekt trägt die Überschrift „Die Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft von den 1920er bis in die 1970er Jahre“. Es wird von einer unabhängigen Forschergruppe mit Arbeitsstellen in Berlin, Freiburg und Heidelberg bearbeitet. Die wissenschaftliche Betreuung der Berliner Projekte liegt in den Händen von Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität). Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften unterstützt das Vorhaben, indem sie die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung dieses Teilprojektes gewährleistet. Der Autor hat im September 2001 mit der Arbeit begonnen.

Es soll analysiert werden, wie und warum es der 1920 als Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründeten Deutschen Forschungsgemeinschaft gelang, sich sowohl in der Weimarer Republik wie auch in der NS-Zeit neben den beiden damals großen außeruniversitären Forschungsinstitutionen – Akademien der Wissenschaften und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) – als weitere Säule in der deutschen Forschungslandschaft fest zu etablieren. Dazu müssen Kooperation, Konkurrenz und Koexistenz zwischen den Institutionen und ihr Verhältnis zur Politik genauer untersucht werden. Vorgesehen ist eine Netzwerkanalyse der in den drei Institutionen tätigen Multifunktionsträger der Wissenschaft sowie der zentralen Protagonisten der Wissenschaftspolitik, um dann die Konsequenzen dieser Vernetzung für die Entwicklung der Institutionen exakter bestimmen zu können. Deshalb wurde zunächst mit der Sichtung der Nachlässe der wichtigsten Akteure begonnen. Dazu zählen insbesondere die Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften Adolf von Harnack, Fritz Haber und Friedrich Schmidt-Ott, die gleichzeitig die Geschicke der Notgemeinschaft und der KWG in Führungspositionen bestimmten: Schmidt-Ott als Präsident der Notgemeinschaft und Vizepräsident der KWG, Haber als Vizepräsident der Notgemeinschaft und Direktor des größten Kaiser-Wilhelm-Instituts, Harnack als Präsident der KWG und Vorsitzender des Hauptausschusses der Notgemeinschaft. Dazu zählen aber auch andere, wie der Preußische Kultusminister und Senator der KWG Carl-Heinrich Becker oder der langjährige Generalsekretär der KWG Friedrich Glum. Gleichzeitig begann die Auswertung der relevanten Akten der Notgemeinschaft, der zuständigen Ministerien, der KWG, einzelner Akademien und anderer Institutionen, zum Beispiel des Deutschen Museums. Über diese Tätigkeit soll hier kein ausführlicher Bericht gegeben werden. Nach einigen grundsätzlichen Überlegungen wird vielmehr ein neues Forschungsergebnis vorgestellt, das durch die Sichtung des Schriftwechsels zweier berühmter Akademiemitglieder – Harnack und Schmidt-Ott – im Kontext der Entwicklung der Notgemeinschaft möglich wurde, verbunden mit der Veröffentlichung eines aufschlußreichen Briefes aus der Feder Adolf von Harnacks.

Ganz ohne Zweifel lassen sich mehrere Gründe anführen, warum aus der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft relativ schnell ein eigenständiger und fester Bestandteil der deutschen Wissenschaftsorganisation (neben den Akademien, der KWG, den Hochschulen und den Verbänden) in der Weimarer Republik wurde. So verliefen die Genese der Notgemeinschaft und der entscheidende Durchbruch bei der Verlagerung der staatlichen Forschungsförderung von den Ländern zum Reich symbiotisch. De facto übernahm die Notgemeinschaft zumindest Aufgaben einer Wissenschaftsbehörde des Reiches. Sie wurde damit zum unverzichtbaren Bestandteil der Protagonisten einer aktiven Reichskulturpolitik. Ganz wichtig waren auch der Zeitpunkt und der Anlaß ihrer Gründung. Nur die offensichtliche und für alle spürbare Notsituation nach dem Krieg bot die einmalige Chance, einen umfassenden Selbstverwaltungskörper der Wissenschaft zu schaffen. Neu war ja nicht die Selbstverwaltung schlechthin – das Verhältnis von Wissenschaft und Staat galt auch vorher als relativ unproblematisch. Neu war, daß es gelang, Egoismen, Vorbehalte und Besitzstandswahrung zu neutralisieren und die Interessen zu bündeln. Noch wichtiger dürfte aber die besonders günstige Personenkonstellation gewesen sein. Das Werden und Gedeihen der Notgemeinschaft (auch die Abwehr von Angriffen) wäre ohne die vorhandenen Netzwerke und deren Pflege und gezielten Ausbau so nicht möglich gewesen. Das sehr dichte Netzwerk von Wissenschaftlern, Beamten und Politikern lag beim ehemaligen Königlich-Preußischen Kultusminister Friedrich Schmidt-Ott nicht nur in den geschicktesten Händen, sondern es wurde auch als effektives Machtmittel eingesetzt.

Für den Erfolg gab es aber noch einen weiteren Grund, der hier genauer betrachtet werden soll. Die Notgemeinschaft etablierte sich als eine „schonende“ Innovation.1 Sie fügte sich in das bereits vorhandene Ensemble von Institutionentypen ein und ergänzte es, ohne andere zu verdrängen. Sehr deutlich wird dieses Prinzip bei der Erweiterung ihrer Aufgabenfelder. Den entscheidenden Schritt vom Provisorium zur unverzichtbaren Institution – von einer weitgehend passiven Forschungsförderung (Entscheidung über willkürlich gestellte Anträge) zu einer aktiven Förderpolitik (Festlegen von Förderschwerpunkten und Nachwuchssicherung durch Vergabe von mehr Stipendien)2 – wagte sie erst, nachdem die Akademien unmißverständlich erklärt hatten, daß sie keinesfalls bereit waren, für diese Gebiete Verantwortung zu übernehmen und nachdem ein modus vivendi mit der KWG gefunden war. Das Verhalten der Akademien, insbesondere der Preußischen Akademie, wurde im Rahmen der Forschungen der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Berliner Akademiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausführlich untersucht und publiziert und kann hier nur angedeutet werden. Bisher nicht bekannt dürfte jedoch sein, welchen maßgeblichen Einfluß der Präsident der KWG Adolf von Harnack auf das Geschehen nahm. Das verdeutlichen die nun im Rahmen dieses Projekts ausgewerteten Dokumente.

Als am 9. Januar 1925 Präsidium und Hauptausschuß der Notgemeinschaft tagten, stand als letzter Punkt auf der Tagesordnung „Organisation von Forschungsaufgaben“. Schmidt-Ott begründete die Notwendigkeit einer aktiven Förderpolitik der Notgemeinschaft auf Schwerpunktgebieten und nannte als Vorbild für die Umsetzung den 1916 in den USA gegründeten National Research Council. Vorgeschlagen wurde, „durch eine ‚Kommission für Forschungsaufgaben’ notwendige Forschungen auf dem Gebiet der Volksgesundheit, der Wirtschaft und der allgemeinen Wohlfahrt zu fördern. […] Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß im Kriege Wissenschaft und Wirtschaft im Dienste vaterländischer Aufgaben wetteiferten, während seitdem auf den meisten Gebieten jede Organisation fehlt. Soweit hier durch Gründung von Forschungsinstituten geholfen werden kann, ist die KWG als Trägerin dieser Bestrebungen berufen. Aber daneben bleibt noch ein weites Gebiet von Aufgaben, das von ihr nicht erfaßt werden kann“. 3 Im institutionellen Kontext erscheinen zwei Dinge besonders interessant: Zum einen die enge Verknüpfung des Vorbildes mit einer Akademie und zum anderen die klare Abgrenzung zur KWG.

Das Vorbild für die „Kommission für Forschungsaufgaben“, das Schmidt-Ott im National Research Council der USA sah, war (und ist) eine Einrichtung der National Academy of Sciences in Washington. Auch das im gleichen Jahr gegründete – allerdings wegen des Kriegsverlaufs weniger erfolgreiche – deutsche Pendant, die Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft, war in enger Anlehnung an die Berliner Akademie entstanden. Selbst wenn man die unterschiedlichen Akademietypen berücksichtigt und davon ausgeht, daß die Kriegssituation wesentlich zum Engagement der Preußischen Akademie beigetragen hatte, ist es nicht vorstellbar, daß die Notgemeinschaft die neue Aufgabe ohne Zustimmung der Akademien in Angriff hätte nehmen können. Das war schon deshalb nicht möglich, weil einer der Initiatoren der Notgemeinschaft, der Reichsbund Deutscher Technik, sich seit 1921 beim preußischen Kultusministerium bemühte, mindestens 16 technische Gebiete (den späteren Schwerpunktbereichen der Notgemeinschaft oft ähnlich) in einer bei der Preußischen Akademie neu zu gründenden Technischen Klasse fest zu verankern.4 Der Reichsbund unterstützte damit einen Antrag, den die Technische Hochschule Charlottenburg bereits im Oktober 1919 gestellt hatte. Zwar war Schmidt-Ott die grundsätzlich ablehnende Haltung der Akademien in dieser Frage bekannt, aber ungewiß blieb, wie sich die Preußische Akademie nun in der Nachkriegszeit zu dem vom Minister unterstützten Anliegen verhalten würde. Die Akademie hielt an ihrer alten Haltung fest. Sie bat den Minister im Januar 1922, „dass ihr eine wesensfremde Erweiterung, die ihre Wirksamkeit lähmen müsste, erspart“ bleibe. Die Einfügung „eines solchen Fremdkörpers wird die bisherige segensreiche Einheitlichkeit unserer Arbeit unfehlbar zersprengen“. Die Bedeutung der Technik für das „Volkswohl“ erkenne man zwar an, aber das gelte auch für andere Disziplinen. Mit dem gleichen Recht könne schließlich auch eine land- und forstwirtschaftliche, eine medizinische, eine staatswissenschaftliche oder eine juristische Klasse gefordert werden. Damit hatte sich die Preußische Akademie positioniert und ein breites Betätigungsfeld freigegeben. Bereits kurze Zeit später war erstmals in einer Denkschrift der Notgemeinschaft zu lesen: „Statt der Förderung der Einzelforschung tritt immer mehr die Beschränkung auf große Forschungsunternehmungen, namentlich auf neue Probleme, und die Erhaltung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Vordergrund.“

Wie kam nun die deutliche Abgrenzung zur KWG zustande? Die bisherige Forschung ging davon aus, daß Schmidt-Ott nach einem ersten Meinungsaustausch mit Akademiemitglied Paul Kehr (Mai 1924) zuerst den Direktor des Deutschen Museums in München, Oskar von Miller, für das Vorhaben zu gewinnen suchte. Diese Annahme stützt sich auf einen Brief Schmidt-Otts an Miller vom 9. September 1924, in dem der Präsident der Notgemeinschaft erstmals das Vorhaben vorstellte.6 Der Brief ist allerdings so nie an Miller abgesandt worden. Schmidt-Ott legte ihn erst Harnack vor, und der äußerte sich nicht nur insgesamt sehr skeptisch bis ablehnend zum Vorhaben, sondern schrieb auch die aus der Sicht des KWG-Präsidenten notwendigen Änderungen präzise handschriftlich an den Briefrand. Schmidt-Ott hat fast alle Anmerkungen Harnacks übernommen und dann am 16. September 1924 den geänderten Brief an Miller abgesandt.7 Harnacks prinzipielle Meinung – und er war ja nicht nur Präsident der KWG, sondern auch Vorsitzender des Hauptausschusses der Notgemeinschaft – verdeutlicht sein Antwortschreiben an den Präsidenten der Notgemeinschaft:

Harnack am 11. September 1924 an Schmidt-Ott:

"Hochverehrte Exzellenz,

Anbei meine Zusatz-Vorschläge zu Ihrem Schreiben an Miller, bei denen ich es vermieden habe, irgend einen Satz in Ihrer Darlegung zu streichen.

Nach wie vor bin ich der Meinung, dass es im gegenwärtigen Zeitpunkt und im Hinblick auf das reduzierte Gelehrten-Material, das zur eventuellen Verfügung steht, sehr schwer fallen wird, etwas Generelles von Bedeutung zustande zu bringen, und ebenso kann ich die Befürchtung nicht unterdrücken, dass, wenn etwas zu Stande kommt, der Eindruck entstehen wird, es solle ein Parallelunternehmen zur KWG geschaffen werden mit einem süddeutschen, d. h. bayerischen, Schwerpunkt. Indessen kann ich mich in jener Meinung und in dieser Befürchtung täuschen, und da Sie so großen Wert darauf legen, jetzt etwas seitens der Notgemeinschaft in größerem Stil zu unternehmen, und gewiss die Interessen der KWG im Auge behalten werden, mag die Sache ihren Lauf nehmen.

Was die KWG anlangt, so stehen unseren Urteilen, dass Manches hinter unseren Wünschen zurückgeblieben ist, die Tatsachen gegenüber, (1) dass die Gesellschaft im Krieg und nach dem Krieg 14 neue Unternehmungen gegründet hat und Jahr um Jahr noch gründet, (2) dass sie Ansehen und Vertrauen bei den Regierungen und im Publikum genießt und auch im Ausland hochgeachtet ist und (3) dass man ihre Konstruktion in Deutschland nicht wiederholen kann, die ihr neben der Festigkeit eine große Elastizität gibt in Bezug sowohl auf ihre Ausbreitungsmöglichkeit (Ich plane jetzt an die „Städte“ heranzutreten)8, wie auch auf die Art ihrer wissenschaftlichen Unternehmungen und Unterstützungen. Dies verpflichtet uns, dieses herrliche und zukunftsreiche Instrument auf alle Weise kräftig zu erhalten und zu schützen. So gewiss Sie in dieser Beurteilung mit mir eines Sinnes sind, so verständlich ist es, dass Sie der großen Schöpfung der „Notgemeinschaft“, die in noch ausschließlicherem Sinn Ihr Werk ist als die KWG, die größtmögliche Ausdehnung zum Segen der Wissenschaft und des Vaterlandes zu geben bestrebt sind. Mit Freude sehe ich das, aber Sie werden es mir gewiss nicht verübeln, wenn ich, nicht als Spielverderber, sondern aus dem uns gemeinsamen Interesse für die KWG auf Collisionsgefahren aufmerksam mache, die entstehen können. Die Notgemeinschaft wird hoffentlich noch lange ihre Aufgaben zu erfüllen im Stande sein; aber einmal wird sie aufhören – Die KWG aber soll und wird ein bleibendes Werk in unserem Vaterlande sein. Die ursprünglichen Zweifel und Widerstände der Akademien und Hochschulen sind wesentlich überwunden; daher kann man der Gesellschaft trotz der mageren Jahre der Wissenschaft, in denen wir uns befinden, ein günstiges Prognostiko stellen, wenn wir unsere Pflicht tun.

In herzlicher Verehrung Ihr v. Harnack"

Für Harnack hatte offensichtlich die KWG absolute Priorität. (An seine 1912 geäußerten Pläne, die KWG und Preußische Akademie zu verschmelzen, dachte er vermutlich schon lange nicht mehr!9) In den Kaiser-Wilhelm-Instituten sollte das „reduzierte Gelehrten-Material“ eingesetzt werden. Keinesfalls wollte er Konkurrenz zur KWG zulassen; schon gar nicht durch ein Parallelunternehmen mit einem „süddeutschen, d. h. bayerischen Schwerpunkt“, zu dem sich die Notgemeinschaft entwickeln könne. Folgerichtig wurde im neuen Brief an Miller die vorherige unscharfe Formulierung Schmidt-Otts, „auf einzelnen Gebieten sind Kaiser Wilhelm-Institute bemüht, den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern“, durch Harnacks unmißverständlichen Einschub ersetzt: „Soweit hier durch die Gründung von Forschungsinstituten geholfen werden kann, ist die Kaiser Wilhelm-Gesellschaft, als Trägerin dieser Bestrebungen, berufen und die Notgemeinschaft wird ihrerseits die Unternehmungen dieser Gesellschaft gern unterstützen.“ Der Vorschlag, man könne zur weiteren Förderung des Vorhabens einen „besonderen Ausschuß bei der NG“ bilden, lautete nun „bei der Notgemeinschaft und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“.

Auch ohne die weiteren Details der Harnackschen Zusätze – und ohne eine breite Erörterung des Inhalts dieses Schlüsseldokuments – wird sehr deutlich, wie wichtig die institutionellen Kontexte für das Werden der Notgemeinschaft waren.

 

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