© BBAW/Sandra Vogel

Grußwort von Christoph Markschies: Mittagssalon zu „Entropie, Sisyphos im Schoß“ von Heidrun Hegewald, 1. November 2023

 

Wollen Sie eigentlich Ihr Bild haben? Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe verehrte Heidrun Hegewald und liebe verehrte Sigrid Hofer: „Wollen Sie eigentlich Ihr Bild haben?“, damit begann alles. Ich bekam eine Mail von Herrn Wessel, den ich auch ganz herzlich begrüße, denn ohne ihn wäre das nicht passiert, was wir heute zum Anlass nehmen, uns um ein Bild und seine Malerin zu versammeln und zu bedenken nicht nur, was auf dem Bild zu sehen ist, sondern welche Geschichte, welche Geschichten sich mit dem Bild verbinden. Wollen Sie eigentlich Ihr Bild haben?

Die Akademie der Wissenschaften der DDR hat sich, wie viele andere internationale Einrichtungen, aber in besonderer Weise, um die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern gekümmert. Sie hat Kunst in relativ großem Maße angekauft und auch in Auftrag gegeben.

Das Bild, um das es heute geht und das von der Akademie der DDR angekauft wurde, hängt inzwischen sehr bewusst im Treppenhaus, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dass es dort hängt, ist einer Erfahrung geschuldet, die ich in Jena gemacht habe: Es gibt dort von Hodler den berühmten „Auszug der Jenaer Studenten“, der im Rahmen der Befreiungskriege stattfand. Und dieses Bild hängt heute in der Aula. Es hing früher aber in einem Treppenhaus. Und wir haben mal eine Zeit lang ein Dia auf eine Wand des Treppenhauses projiziert, und seitdem liebe ich Bilder in Treppenhäusern, weil man die Gelegenheit hat, sich im Hochschreiten der Treppe – je älter Sie werden, desto langsamer schreiten Sie die Treppen hoch – und im Herab-schreiten aus dem Saal dem Bild immer neu zu nähern. Sie können in der Mitte der Treppe gehen, Sie können links und rechts gehen. Deswegen hängt das Bild auf der Treppe. Aber es hing 33 Jahre dort nicht.

© Heidrun Hegewald, Foto: BBAW/Sandra Vogel

Die Akademie der Wissenschaften der DDR, die das Bild hätte aus den Händen von Frau Hegewald nehmen können, gab es gar nicht mehr. Sie ist ... Ja, und jetzt ist schon die Frage, wie man das beschreibt. Denn Sie wissen, in Deutschland sind die Fragen der Kontinuitäten und Diskontinuitäten prekär. Man kann es juristisch verhandeln, man kann es institutionentheoretisch verhandeln, man kann es soziologisch verhandeln. Man kann es aber auch im Blick auf die Kunst und den Kunstbesitz verhandeln. Jedenfalls, 33 Jahre lang hing das Bild, liebe Frau Hegewald, auch schon im Treppenhaus bei Ihnen, und man konnte es auch, indem man die Treppe hochstieg, ansehen. Und nach 33 Jahren hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gesagt: „Wir möchten das Bild nicht nur zurücknehmen“, das stimmt nämlich gar nicht so ganz, sondern „wir möchten es in unsere Obhut nehmen und möchten, dass anhand dieses Bildes ganz viele Fragen gestellt werden können.“ Die Frage nach der Kontinuität. Was verbindet uns mit der Zeitwahrnehmung, die dieses Bild ausdrückt? Mit der sehr dystopischen Sicht einer Welt, in der Sisyphos’ Stein oben auf dem Berg balanciert, aber jederzeit herunterfallen könnte. Ein Bild, in dem Sisyphos vollkommen erledigt, gestatten Sie dem Theologen die Bemerkung, fast, als ob er die Hände falten wollte über dem Knie, balanciert, den Kopf in den Arm gelegt hat, offensichtlich nicht in der Lage ist, den kippenden Stein hochzurollen. Und alle von Ihnen, die ein bisschen DDR-Literatur und -Kunst angeguckt haben, wissen, dass wir jetzt ein ganzes Colloquium über Sisyphos in der DDR miteinander halten könnten, ich Gedichte von Volker Braun zitieren könnte, dass wir künstlerische Darstellungen von Sisyphos vorstellen könnten. Was heißt es eigentlich, dass ins-besondere in den späten Siebziger- und Achtzigerjahren in der DDR so viel von Sisyphos die Rede war?

Das alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Fragen, die uns als Berlin-Brandenburgische Akademie, die wir in einer bestimmten, jeweils einzeln zu definierenden Kontinuität und Diskontinuität zur Akademie der Wissenschaften der DDR, zur Deutschen Akademie der Wissenschaften, zur Preußischen Akademie der Wissenschaften, zur Kurfürstlich Brandenburgischen Societät der Wissenschaften stehen, die uns als Akademie wohl anstehen zu bedenken.

© BBAW/Sandra Vogel

Ich möchte bitte, Frau Hegewald, Ihr Bild nicht nur zu einer Metapher für Zeitstimmung machen und zu einem Anlass, über Geschichte und Literatur nachzudenken. Es ist ein autonomes Kunstwerk, das Sie gemalt haben, das als autonomes Kunstwerk auch wahrgenommen werden will. Aber ich denke, wenn man auf die gegenwärtige Diskussion über Klima schaut, wenn man auf gegenwärtige Diskussionen über Erderwärmung schaut, wenn man auf gegenwärtige Dis-kussionen über unseren Umgang mit der Schöpfung und den Menschen blickt, wird man sagen müssen, dass es sich um ein Bild handelt, das an seiner Aktualität überhaupt gar nichts verloren hat, und zu dem man vermutlich sagen kann: Aus dem heutigen Blickwinkel ist es von großer Hellsichtigkeit. Viele Menschen haben die Welt in den Jahren, als Sie dieses Bild konzipiert und gemalt haben, viel naiver, viel unproblematischer gesehen. Und wenn ich an viele Bilder aus der DDR denke, mit ihrer sehr subtilen, feinsinnigen Kritik an Optimismen, Wolfgang Mattheuers „Hinter den sieben Bergen“ und wen und was man alles nennen kann ... Ich will mich nicht als Laie, der Bilder gern angeschaut hat und anschaut, profilieren, denn wir haben gleich eine Kunsthistorikerin, die wird über dieses Bild spreche. Jedenfalls sind, glaube ich, viele, insbesondere im Westen, viel, viel naiver in die Zeitläufte und in die Welt gegangen als Sie.

Als wir zu dem Mittagssalon eingeladen haben, hat ein Mikrobiologe aus Greifswald geschrieben, der dort in den späten Siebzigerjahren Professor geworden ist, Mitglied unserer Akademie, und hat gesagt: „Ich bin ganz begeistert, dass Sie Frau Hegewald jetzt im Gebäude ausstellen, denn ihre Bilder haben für uns ungemein viel bedeutet. Sie haben unsere eigene Stimmung wiedergegeben, und sie war für uns sehr, sehr wichtig.“ Das ist, liebe Frau Hegewald, glaube ich, nicht alles, was eine Künstlerin erreichen will. Sie wollten ja erst einmal Künstlerin sein und nicht in irgendeiner Weise in einen, wie soll ich sa-gen, politischen und gesellschaftlichen Raum hereinwirken. Aber ich glaube, man kann schon sagen, dass Sie immer eine Künstlerin gewesen sind, die das dann auch sehr entschieden wollte, mit Ihrem Engagement im Verband der Bildenden Künstler der DDR, mit Ihrem Engagement für die Gestaltung von Kunstausstellungen in der DDR. Sie haben an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee Grafik studiert. Und ich glaube, Werner Klemke ist einer Ihrer Lehrer, die man jetzt nennen muss, und an der Humboldt-Universität der unvergessene Wolfgang Heise, der, glaube ich, hier auch genannt werden sollte und der Geschichte der Philosophie und Ästhetik lehrte. Er ist jemand, den nicht mehr sehr viele kennen. Die von Ihnen, die noch nie von ihm gehört haben, tun gut daran, ihn wenigstens einmal zu googlen.

© BBAW/Sandra Vogel

Liebe Frau Hegewald, ich möchte mich bei Ihnen ganz feierlich dafür bedanken, dass Sie uns dieses Bild, das uns gehört und nicht gehört – je nachdem, wie wir in Kontinuität oder Diskontinuität stehen – dass Sie uns dieses Bild überlassen haben. Denn Sie merken vielleicht, wie sehr es uns beschäftigt und wie sehr es verhindert, dass man in der Gegenwart versinkt, ohne zu merken, was man aus der Vergangenheit lernen kann – auch lernen kann, dass die Vergangenheit nicht in den Schwarz-Weiß-Farben zu malen ist, in denen die Nachgeborenen sie jeweils malen, also insbesondere die aus dem Westen Gekommenen, die jetzt im Osten sind und die Aufgabe und Pflicht haben, sich mit der Vergangenheit gründlicher zu beschäftigen als in den, wenn ich so sagen darf, Schwarz-Weiß-Malereien, die wir normalerweise über sie vertreten.

Ich freue mich auch sehr, dass wir Frau Hofer aus Marburg unter uns haben. Sie haben neben der Kunstgeschichte Geschichte und Ethnologie in München, Berlin und Bamberg studiert, waren Professorin für Kunstgeschichte an der Philipps-Universität in Marburg und beschäftigen sich mit der Bildenden Kunst nach 1945 und dem, was man deutsch-deutsche Kunstgeschichte nennen könnte, und sind seit 2008 Gründerin und Vorsitzende des Arbeitskreises Kunst in der DDR.

Das war meine Begrüßung, die nochmal damit endet, wo ich sie angefangen habe: Vielen, vielen Dank, Frau Hegewald, es ist eine große Freude, dass wir jetzt auf der Treppe nicht auf weiße Wände schauen, sondern auf eine gefüllte Wand, und nicht nur Grund haben, über diese spezi-fische Form von DDR-Kunst und Weltsicht der DDR nachzudenken, die kurz vor dem entstand, was man erneut ganz unterschiedlich bezeichnen kann, als Wiedervereinigung, Wende und so weiter und so fort, sondern ein Bild hängen haben, das die gegenwärtige Lage berührt und in einer sehr zu Herzen gehenden Art und Weise auf die Leinwand gebracht hat. Es ist in 33 Jahren überhaupt nicht gealtert. Vielen herzlichen Dank!


Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Christoph Markschies ist evangelischer Theologe und Historiker. Er ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

 

Hier können Sie das Grußwort von Akademiepräsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies als PDF herunterladen. (PDF, 264KB) 

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