Das Maß aller Dinge
Gastgeber: Joachim Ullrich, Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, Akademiemitglied
18.00 Uhr Eröffnung
Martin Grötschel (Akademiepräsident)
18.15 Uhr Weltverhältnisse – Isorhythmische Motetten des 14. und 15. Jahrhunderts
Susanne Langner (Alt), Minsub Hong (Tenor), Kai Roterberg (Tenor), Rudolf Preckwinkel (Bass) (Mitglieder des RIAS Kammerchors)
Wenn Gottfried Wilhelm Leibniz die Musik als ein unbewusstes Zählen der Seele ansah, konnte er sich auf eine lange Tradition berufen. Die Melodien und Rhythmen zugrunde liegenden Zahlenverhältnisse, die Messbarkeit von Dauern und Intervallen wurde schon seit der Antike herangezogen, um Musik in Beziehung zu herrschenden Weltbildern zu setzen. Im Mittelalter lieferte dies zunächst die theologische Begründung der Kirchenmusik und im 14. Jahrhundert zunehmend auch für eine weltliche Vokalmusik, die sich als kritische Kunstform auf Augenhöhe mit solcher kunstvollen Kirchenmusik bewegen wollte. Sie brachte sich auf zwei Weisen mit der Welt in Verbindung: über das Prinzip der Proportionen und über (nicht selten mehrere gleichzeitig gesungene und inhaltlich aufeinander bezogene) Texte – seien sie nun theologisch oder (gesellschafts-)politisch. Es entstanden hoch intellektuelle, literarisch wie musikalisch anspruchsvolle und prächtige Motetten. Durch ihre Messbarkeit wird Musik hier zu einer Möglichkeit, sich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell zur Welt zu verhalten.
18.30 Uhr Vom Nobelpreis zu einem neuen Kilogramm
Nobelpreisträger Klaus von Klitzing (Physiker, MPI für Festkörperforschung, Stuttgart)
Der Nobelpreis für Physik 1985 wurde für die Entdeckung des „Quanten-Hall-Effektes“ verliehen. Von Beginn an war klar, dass hier ein neuer elektrischer Widerstand entdeckt wurde, dessen Wert nur von Naturkonstanten abhängt und heute durch die von-Klitzing-Konstante charakterisiert ist. Diese Entdeckung erlaubt es, zusammen mit dem Josephson-Effekt, alle elektrischen Größen auf Quantennormale zurückzuführen, die von der Planck-Konstanten h und der Elementarladung e abhängen. Damit ist es möglich, eine direkte Verbindung zwischen Planck-Konstante und Masse herzustellen.Mit der für den 20.5.2019 erwarteten weltweiten Einführung eines modifizierten Maßsystems mit festgelegten Werten für die Konstanten h und e wird es gelingen, nicht nur die elektrischen Einheiten in das SI-System (Système international d’unités) zu integrieren, sondern auch das Urkilogramm zu ersetzen.
20.00 Uhr Experimente am absoluten Temperatur-Nullpunkt
Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle (Physiker, MIT, Cambridge, MA, USA)
Warum kühlen Physiker Materie zu extrem niedrigen Temperaturen? Warum ist es wichtig, Temperaturen zu erreichen, die mehr als eine Milliarde mal kälter sind als der interstellare Raum? In diesem Vortrag werde ich beschreiben, mit welchen Methoden man Atome auf Nanokelvin-Temperaturen abkühlt, wie man solche Temperaturen misst, und wie man neue Formen der Materie realisiert und beobachtet.
21.00 Uhr Die Vermessung des Universums
Matthias Steinmetz (Astrophysiker, Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, Akademiemitglied)
Der Weltraum, unendliche Weiten – seit der Antike wissen wir, dass die Abstände im Kosmos groß, ja gigantisch sind. Aber erst in den letzten 175 Jahren fing man an, ein etwas quantitativeres Bild über die Abstände zu gewinnen. Seit nunmehr gut 20 Jahren entwickelte die moderne Weltraumastronomie dies zu Präzisionsmessungen – von dem Abstand zu den nächsten Sternen bis hin zur Grenze des uns zugänglichen Universums.
22.00 Uhr Der Mensch ist das Maß aller Dinge
Volker Gerhardt (Philosoph, Humboldt-Universität zu Berlin, Akademiemitglied), Gyburg Uhlmann (Gräzistin, Freie Universität Berlin)
Wenn es um das Maß und das Messen geht, sollte der nicht vergessen werden, der misst und den das Gemessene allein interessiert: nämlich der Mensch. Er hat sich mit seiner Fähigkeit, Maße und Gewichte festzulegen und mit ihnen zu rechnen, überhaupt erst auf den Weg in die Zivilisation begeben. Zusammen mit der Schrift und dem Recht hat das Maßnehmen das Leben in den großen Kulturen des Vorderen Orients überhaupt erst ermöglicht.
Demgegenüber erscheint der Spruch eines griechischen Philosophen aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert wie ein Rückschritt. Wie soll man es verstehen, dass der Mensch selbst ein „Maß“ ist – und zudem auch noch das „aller Dinge“?
Tatsächlich legt der Spruch des Sophisten Protagoras (etwa 490 – 411 v. Chr.) den Grund für das Verständnis allen Messens. Er formuliert eine starke These über die Stellung und die Leistung des Menschen in der Welt. Die ist nicht unwidersprochen geblieben. Schon sein Zeitgenosse Sokrates und dessen Schüler Platon haben ihre Brisanz für Ethik, Anthropologie und Erkenntnistheorie erkannt; schon Platon hat dazu kritisch Stellung genommen.
Die unterschiedlichen Positionen und ihre Bedeutung bis in unsere Gegenwart hinein stellen die Grä-zistin Gyburg Uhlmann (FU Berlin) und der Philosoph Volker Gerhardt (HU Berlin) in ihren Vorträgen dar und diskutieren es miteinander.
23.15 Uhr Das Grün und das Gelb
Abstraktes Puppentheater von Fred Schneckenburger mit Musik von Bernd Alois Zimmermann. Rekonstruktion der Uraufführungsfassung von 1952. Marionettenoper im Säulensaal, Musikwissenschaftliches Seminar der Universität Heidelberg
"Nach alter Sitte frage ich: Seid ihr alle da? Ja? Das freut mich. Danke. Doch auch wenn’s nicht der Fall ist, muss ich genauso weitermachen. Denn hinter mir läuft doch das Tonband weiter und kümmert sich den 'Pieps' drum, ob ihr ja sagt oder nein." So beginnt der Kaspar seine Rede in Fred Schneckenburgers Stücken. Die Puppen spielen live, der Ton kommt vom Band und liefert ein rigides Zeitregime, das vorbestimmte und unveränderbare Maß für alle Aktionen. Die Arbeit mit einem Zuspielband war 1952 für Bernd Alois Zimmermann (den Komponisten der Bühnenmusik, der auch das Tonband einspielte) eine entscheidende Erfahrung: Die hier erstmals erlebte Spannung zwischen live gespielter Musik und Bandzuspielungen, ermöglicht durch eine vollkommen durchkalkulierte Zeitorganisation, wird zum Dreh- und Angelpunkt in Werken wie der Oper Die Soldaten und dem Requiem für einen jungen Dichter. Rekonstruiert wurde das Puppentheaterstück durch Joachim Steinheuer und die Marionetten-Oper der Universität Heidelberg in Zusammenarbeit mit der Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe.