Historische Zeitleiste

Januar

"... von einer Behörde hat indessen bisher auch noch nicht ahnungsweise verlautet, daß sie geneigt sey, sich in ihr natürliches Verhältniß zum Publikum und zur Nation zu setzen, nämlich von der hiesigen Akademie der Wissenschaften;

sie scheint ohne alle Rücksicht auf die veränderte Zeit und die ihr dadurch gewordene höhere und weitere Aufgabe, ganz in dem althergebrachten Stil fortleben und nach wie vor hinter verschlossenen Thüren Das pflegen zu wollen, was sie so gern mit dem hohen Namen der reinen Wissenschaft benennt.

Richtet jemand an sie die Forderung einer allgemeinen oder unter gewissen Bedingungen zu gestattenden Oeffentlichkeit ihrer Classensitzungen, so pflegt sie sich hochmüthig in ihren königlichen Mantel zu hüllen und zu erwiedern, daß sie Monatsberichte und Memoiren drucken lasse und ein- oder zweimal im Jahre zu einer öffentlichen Rede den Zutritt gestatte. Solche Antwort aber zeigt, daß die Akademie nur den Zuschnitt der Welt von ehemals, nicht jedoch die Anforderungen der Gegenwart kennt,..."

Akademie
Das Verhältnis von Akademie und Öffentlichkeit war nie unproblematisch und ist es auch heute nicht. Ganz besonderes Interesse richtet sich freilich in Zeiten politischer Umwälzungen auf akademisches Selbstverständnis und Gebaren, wie etwa nach den Revolutionsereignissen von 1848.

Unter den Mitgliedern der Akademie gingen die Meinungen über die politische Zukunft Preußens und Deutschlands weit auseinander. Befürworter wie die Grimms, vorsichtige Beobachter und scharfe Kritiker der revolutionären Intentionen trafen in den Klassen- und Festsitzungen aufeinander. Letzlich setzte sich allerdings eine Besinnung auf den ausschließlich wissenschaftlichen Beruf der Akademie durch. Mit ihrem Bekenntnis, sich nicht in religiöse und politische Belange einzumischen, sondern nur dem Erkenntnisgewinn zu dienen, hatte sich ja bereits die Royal Society dem englischen Herrscher empfohlen.

Die Akademie jedenfalls verwahrte sich gegen die Vorwürfe des anonymen Verfassers, der "wie es scheint aus der Akademie einen politischen und demokratischen Club machen möchte" und ihre prominenten Mitglieder Trendelenburg und Grimm forderten eine Konzentration auf Forschung.

August Boeckh

Beoabachter
Am "Friedrichstag", der öffentlichen Sitzung zu Ehren des Geburtstages von Friedrich II, vertiefte August Boeckh das Stimmungsbild vieler Gelehrter gegen die Akademie: "Das entbrannte Freiheitsgefühl, der rasche Flügelschlag einer neuen staatlichen Entwickelung, scheint stumpf und unempfänglich zu machen für die Bewunderung einer Grösse, die unter ganz anderen Verhältnissen und mit ganz anderen Mitteln sich erhoben hat, als welche der gegenwärtigen Stimmung der Geister und den gegenwärtigen Umständen zusagen möchten, und die ganz anderes geschaffen hat, als wir jetzo wollen. Der Augenblick scheint nicht günstig, um einen unumschränkten Herrscher zu preisen.August Boeckh Gerade heraus gesagt, ich stelle mir vor, es giebt jetzt nicht wenige, von welchen man etwa Folgendes hören dürfte: "Der Mann, welchen ihr feiert, ist allerdings ein grosser Mann gewesen, wie Alexander und Cäsar und Napoleon; aber er ist eben wie diese doch auch nur ein Tyrann gewesen, und noch dazu ein Undeutscher über Deutsche: und ob die Akademie seinen Ehrentag begeht oder nicht, ist sehr gleichgültig; denn die Akademien sind auch nur Stiftungen der Fürsten und Anhängsel der Höfe, stehen nicht auf der Höhe der Zeitbildung und passen nicht zu dem Zeitgeiste, der alle Bevorzugung verwirft und Allen gleiche Berechtigung zutheilt: ihr aber wollt besonders auserlesene sein, und seid nicht einmal durch eine grössere Wahlversammlung erlesen, sondern ergänzt euch selber: euch erkennen wir gar nicht an."

Johann Franz Encke

Krititker
Der Astronom Johann Franz Encke in seiner Festrede zum Friedrichstag: "Das natürliche Band zwischen beiden [Vergangenheit und Zukunft] bilde die Macht der Krone, an welche sich alle früheren geschichtlichen Erinnerungen anschlössen, während sie als das nicht wechselnde Element der künftigen Staats-Verfassung, in Verbindung mit der immer von Zeit zu Zeit sich erneuernden Volks-Vertretung, die Zukunft Preussens sicherstelle.

Die neue Zeit füge deshalb zu den Gefühlen, mit welchen wir früher diese Feier begangen hätten, noch eine hochwichtige Betrachtung hinzu, und fordere auf, die Wünsche für die Erhaltung Sr. Majestät des Königs und des Königlichen Hauses in erhöhter Weise kundzugeben."

 

Friedrich Trendelenburg

Der Vorsitzende Sekretar Friedrich Trendelenburg sprach sich in seiner Einleitungsrede zum Königlichen Geburtstag über "Die sittliche Idee des Rechts" deutlich für eine Konzentration der Akademie auf die Forschung aus: "Der Akademie gehört die Wissenschaft als solche; nicht der Unterricht, nicht die Friedrich Trendelenburg Anwendung, sondern die Forschung. Die Wissenschaft hat gleich der Andacht ihren Zweck in sich.

Aber indem sie nach der Erkenntniss des Wesens trachtet und nach nichts Anderem, fällt ihr, wie dem Wesen in allen Dingen, das Übrige von selbst zu und sie dient von selbst dem Unterricht und der Anwendung. Daher hofft auch die Akademie nicht dem Leben entfremdet zu sein, wie man ihr wol Schuld gegeben."

 

Jakob Grimm

Grimm
Grimm kritisierte in seiner Rede "über schule universität und academie" in der Gesamtsitzung der Akademie am 8.11.1849 die Unvollkommenheit der verwirklichten Idee großer Institutionen, die auch der Akademie noch anhaften. Die wesentliche Aufgabe der Akademie besteht vor allem darin, "[...] die höhe der wissenschaft zu halten, und in tonangebenden, schöpferischen vorträgen und mittheilungen alle auftauchenden spitzen der forschung neu und hervor zu heben und weiter zu verbreiten."

Rudolf Clausius

Wenn die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, als moderne Arbeitsakademie konzipiert, in einer ihrer interdisziplinären Arbeitsgruppen Forschung zum Thema "Strategien zur Abfallenergieverwertung - Ein Beitrag zur Entropiewirtschaft" betreibt, so baut sie dabei auf den genialen Überlegungen und Ergebnissen eines ihrer Korrespondierenden Mitglieder (von 1876 bis zu seinem Tode 1888) auf: Rudolf Julius Emanuel Clausius, damals ordentlicher Professor für Theoretische Physik an der Universität Bonn. Ihm verdanken wir den Begriff "Entropie", noch immer eine der scheinbar schwierigsten, geheimnisvollsten, am intensivsten diskutierten Größen der Physik.

Vorausgegangen war eine stürmische Entwicklung der Physik der Wärmevorgänge und die Befreiung aus der Vorstellung von der Stofflichkeit der Wärme, waren 1842 Robert Mayers, 1843 Prescott Joules Entdeckung und - besonders einflußreich - 1847 Hermann von Helmholtz' Formulierung des zentralen Satzes von der Erhaltung der Energie sowie von der Wärme als einer Form der Energie, als 1850 Rudolf Clausius, gerade frisch habilitierter Privatdozent von 28 Jahren an der Berliner Universität und von Beruf Dozent an der Königlichen Artillerie- und Ingenieurschule seine Abhandlung " Über die bewegende Kraft der Wärme und die Gesetze, welche sich daraus ableiten" in Poggendorf's Annalen veröffentlichte. Poggendorf, der Herausgeber, berichtete darüber umgehend auf der Februarsitzung der Berliner Akademie. Mit dieser wieder und wieder abgedruckten seminalen Arbeit schuf Clausius einen Felsblock, der die Entwicklung der aufblühenden Thermodynamik, der Physik, der Wissenschaft überhaupt ganz nachhaltig bis heute beeinflussen sollte. Auf dieser Abhandlung gründet sein Ruhm (und seine glänzende Karriere von Berlin über Zürich, Würzburg bis nach Bonn).

Worum ging es? Auch damals waren die Wissenschaftler schon an sehr konkreten Anwendungen ihrer Erkenntnisse interessiert, gab es das intensive und subtile Wechselspiel zwischen dem, was man heute gern als grundlagenorientierte versus anwendungsorientierte Forschung, als Erkenntniswissen versus Verfügungswissen gegenüberstellt. Nach der Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt (1765) stellte sich natürlich die spannende Frage, wie gut sie denn sei, wieviel der verbrauchten Wärme man in mechanische Energie umwandeln könne, wie groß ihr Wirkungsgrad sei. (Heute hat es der Wirkungsgrad η gar bis zum Werbeträger der Stromwirtschaft gebracht.) Hierauf hatte Sadi Carnot -viel zu jung mit 36 Jahren gestorben- im Jahre 1824 eine verblüffend einfache Antwort gegeben. Es komme im Idealfall auf keinerlei weitere Eigenschaften an als auf das Verhältnis zwischen der Temperaturdifferenz bei Wärmeaufnahme und bei Wärmeabgabe der Maschine zu der Temperatur des Wärmelieferanten, etwa der brennenden Flamme. Besser als dieser so bestimmte Wirkungsgrad es sage, gehe es einfach nicht, meistens liege man sogar erheblich schlechter. So lassen sich die von uns als mickrig verachteten Wirkungsgrade selbst idealer Maschinen von nur 50 bis 60 Prozent verstehen. Nur, die Begründung von Carnots Einsichten bröckelte zusehends weg im Lichte der neuen Erkenntnisse über die Äquivalenz von Wärme und Energie. Irrte also Carnot womöglich, weil er in der nicht mehr haltbaren Vorstellung von der Wärme als einem Stoff, dem "Caloricum'", befangen war?

Clausius' geniale Leistung war es, beim (erfolgreichen!) Bestreben, den Carnotschen Wirkungsgrad η auch in der neuen Thermodynamik als richtig nachzuweisen, tiefliegende Einsichten über das thermodynamische Verhalten der uns umgebenden Körper zu gewinnen. So gelang ihm die erste quantitative Formulierung des berühmten 2. Hauptsatzes sowie die Erkenntnis, daß dieser eine neue Zustandsgröße zu definieren und zu messen gestattet, eben die "Entropie". Körper haben nicht nur ein Volumen, eine Masse, eine Temperatur, sie " haben" auch eine Entropie. Diese bestimmt sich aus der Summe der auf die Temperatur bezogenen, mit ihr gewichtet aufgenommenen Wärmemengen. Wegen der Reibungsverluste kann sie immer nur zunehmen, sofern sie nicht über die Grenzen des Systems abgeführt zu werden vermag. Die Erde beispielsweise tut das durch ihre Abstrahlung in den Weltraum - und ermöglicht so unser Leben.

Wenn Sie mal wieder die wärmende Sonne genießen, fragen Sie sich vielleicht auch, warum wir eigentlich über den Mangel an Energie klagen. Die Sonne liefert sie doch, und offenbar reichlich. Und warum sollte es der Solaranlagen auf unseren Dächern für heißes Wasser oder der Silizium-Zellen für elektrischen Strom bedürfen? Warum verwenden wir nicht einfach direkt die überall im Boden abgespeicherte Sonnenwärme und nutzen Sie zum Heizen, für Maschinen usw.? Es scheint doch einfach zu gehen: man gewinne zum Beispiel Wärme aus den obersten 5 cm des Bodens quer über die Fläche der Bundesrepublik, indem man diese schmale Schicht sich um nur 1 Grad abkühlen läßt (und dann wieder von der Sonne aufwärmen). Das deckte gut (etwa 1,6-fach) unseren täglichen Primärenergieverbrauch ab, umweltverträglich, regenerativ. Genug Energie also?

Wegen der Clausiusschen Entropiegesetze, wegen des 2. Hauptsatzes scheitert aber leider die Durchführung des energetisch durchaus möglichen Prozesses. Nämlich, Wärme geht nicht von alleine aus Bereichen mit tieferer zu solchen mit höherer Temperatur. Dann, so Clausius, könnte man auch ein perpetuum mobile bauen. Könnte sich Clausius geirrt haben? R. W. Pohls Antwort: "...eine Erfahrungstatsache, die durch viele Bemühungen unglücklicher Erfinder völlig gesichert ist." Rudolf Clausius' scharfsinnige Analysen des 2. Hauptsatzes, des Entropie-Begriffs und der Gesetze der zeitlichen Entwicklung der Zustandsgröße "Entropie" sind durch 150 Jahre Forschung und technische Entwicklung immer wieder glänzend bestätigt worden. Immer wieder neue innovative Kraft offenbart diese merkwürdige "Entropie": Kann man mit ihr eine neue Qualitätsbewertung von Maschinen vornehmen? Eignet sie sich zu umweltgerechter wirtschaftlicher Bewertung? Welche Rolle spielt sie bei der Entwicklung von Leben und der Bildung von Strukturen in der belebten und unbelebten Welt?
Heute wäre Clausius nicht Korrespondierendes sondern Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften geworden, da es leichter geworden ist, zwischen Bonn und Berlin hin und her zu reisen. Heißt es doch in der Laudatio von Helmholtz, Siemens und Kirchhoff: "Die neuen Gedanken, die er - Clausius - ausgesprochen hat, rechtfertigen es, daß er stets unter denen aufgeführt wird, denen die genannten Disciplinen vorzugsweise ihre Entwicklung verdanken." Denken wir also zur Jahrtausendwende, zur Jahrhundertwende, im Jahre 300 der Akademie auch an "150 Jahre 2. Hauptsatz und Clausiussche Entropie".

Siegfried Grossmann

"Wir haben es den Verhältnissen unserer Akademie der Wissenschaften nicht mehr angemessen befunden, ihr ferner die Herausgabe der Kalender zu übertragen [...], so verordnen wir hiermit: die Herausgabe der unter öffentlicher Autorität in Unseren Staaten erscheinenden Kalender ist fortan einer besonderen Deputation anvertraut u.s.w." (Königliches Edict vom 10. Januar 1811)

In seiner Bescheidenheit hat Adolph Goldschmidt jene Sympathie wie selbstverständlich erhalten, um die sich prätentiösere Kollegen vergeblich bemühten. Als ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Princeton überreicht wurde, wollte die Regie, daß der schmächtige Berliner Kunsthistoriker neben dem hochgewachsenen Colonel Charles Lindbergh plaziert wurde, der nach seinem Atlantikflug zum amerikanischen Nationalhelden geworden war. Während der berühmte Flieger auf dem Gruppenfoto der Geehrten unverwandt in das Objektiv sieht, blickt Goldschmidt fast verschüchtert, aber doch konzentriert auf einen Punkt neben der Kamera. Es war sein Unwille, im Zentrum zu stehen und die Aufmerksamkeit auf seine Person zu lenken, der ihn immer wieder in den Mittelpunkt beförderte. Es wird wenige Kunsthistoriker geben, die so ungeteilten und andauernden Respekt hervorgerufen haben wie der 1863 in Hamburg geborene Goldschmidt. 

 Er hat sich gegen die vorgezeichnete Banklaufbahn entschieden, um Kunstgeschichte zu studieren. In Jena und Kiel, wo es noch keine akademische Kunstgeschichte gab, lernte er bei Archäologen zunächst das Inventarisieren. Die Genauigkeit im Aufnehmen und Ordnen des Stoffes kam seiner Überzeugung entgegen, auch das kunsthistorische Material mit der Objektivität eines Naturwissenschaftlers erfassen zu müssen.  Goldschmidts stilgeschichtliche Bestimmungen der Kunst des Mittelalters haben diese Methode, die er als "kritisches Sehen" definierte, zu einem ihrer Höhepunkte geführt.  Sie hat Grenzen, die er selbst thematisiert hat,  aber das historische Fundament der Formanalyse ist ohne Goldtschmidts "Kritik des Auges" nicht zu erschließen.

Promoviert in Leipzig bei Anton Springer über Lübecker Kunst im Jahre 1889, habilitierte er sich 1893 bei Hermann Grimm an der Berliner Universität mit einer Arbeit zur Buchmalerei. 1903 nach Halle berufen, konnte er sein wohl bedeutendstes Werk, die Geschichte der Elfenbeinskulptur zwischen Antike und Gotik, bearbeiten, das in verschiedenen Bänden ab 1914 erschien, auch nach seinem Tod fortgesetzt wurde und bis 1971 seinen Abschluß fand. 1912 folgte er Heinrich Wölfflin, der nach München übergesiedelt war, auf den Lehrstuhl der Berliner Friedrich Wilhelm Universität, um diesen bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1932 einzunehmen. 

 Er war der erste Lehrstuhlinhaber, der sich ausschließlich der Kunst des Mittelalters widmete, um durch diese Konzentration insbesondere die Kleinskulptur und die Buchmalerei auf eine bis heute gültige Weise zu durchmessen und zu ordnen. Er hat die kunsthistorische Mediävistik mitbegründet, ohne jedoch auf diese fixiert zu sein; er lehrte auch italienische Renaissance und förderte im übrigen die Moderne. Lebenslange Freundschaft verband ihn mit Edvard Munch und Max Liebermann.
 Goldschmidts über Jahrzehnte geschultes Auge hat ihn nach Deutschland vor allem auch in Amerika bekannt und berühmt gemacht. Gastprofessuren führten ihn 1927, 1930 und 1936 zu Lehrveranstaltungen und Vorträgen in die Vereinigten Staaten, deren Erfolge ihm den Ehrendoktor nicht nur in Princeton, sondern auch in Harvard einbrachte.

Wie er Amerika wegen seines ungezwungenen akademischen Lebens bestaunte und genoß, so wurde er dort als Gegentyp zum verklemmt autoritären Typus mancher deutschen Professoren veehrt.  Zudem vermochte er einige der teils grandiosen Kunstsammlungen vermögender Privatleute wie im Vorbeigehen zu bestimmen und zu bewerten. Dies brachte ihn mit Geldmagnaten wie John D. Rockefeller und Henry Ford oder auch Albert C. Barnes zusammen. Die ca. fünfhundert illuminierten mittelalterlichen Buchmanuskripte von Henry Walters verstand er mit einem Assistenten in zwei Tagen zumindest grob nach Zeit und Landschaft zu bestimmen. Trotz seiner wissenschaftlichen und auch gesellschaftlichen Erfolge hielt er seinen Besuch bei den Pueblo Indianern in Neu Mexiko für den Höhepunkt all seiner Amerika-Eindrücke, wobei ihm sicherlich Aby Warburgs Arbeit über das Schlangenritual der Hopi vor Augen stand.  Mit dessen Bruder Eric verband ihn enge Freundschaft.

 Goldschmidt besaß hohes Ansehen, als er im September 1933 beauftragt wurde, die Preußische Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er 1914 geworden war, auf dem internationalen kunsthistorischen Kongress in Stockholm zu vertreten. Als Juden wurden ihm die Reisemittel vom Auswärtigen Amt verweigert, und statt seiner wurden Albert E. Brinckmann, sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl der Berliner Universität sowie der Münchener Wilhelm Pinder, die beide in der Lage und Willens waren, das neue Regime zu vertreten, mit der Reise beauftragt. Von den schwedischen Organisatoren umso dringender um ein Kommen gebeten, fuhr Goldschmidt auf eigene Kosten, um die Grüße der Akademie direkt nach der Ansprache Brinckmanns zu überbringen. Nach seiner Rede erhob sich, wie er in seinem Rückblick schreibt, "ein so stürmischer langandauernder Beifall, wie er nur als Gegenausdruck zum Gruß der Naziregierung aufgefaßt werden konnte" . Goldschmidt wurde zum Ehrenpräsidenten des Kongresses gewählt und vom schwedischen Kronprinzen und dem Bruder des Königs, Prinz Eugen, besonders herzlich empfangen. 

 Er hätte auf Grund mehrerer ehrenvoller Einladungen schon zu diesem Zeitpunkt emigrieren können, und die schmerzliche Erfahrung, daß sein lebenslanger Freund Albert Einstein aus der Akademie ausgeschlossen wurde, hätte ihn zusätzlich warnen sollen. Da er sich innerhalb der Akademie persönlich aber von keinem Antisemitismus betroffen sah, vor allem aber, weil er sich nicht vorstellen konnte, ohne die Berliner Museen und Kunstbibliotheken arbeiten zu können, zögerte er seine Emigration bis zum letztmöglichen Moment heraus. Nachdem ihm nach der "Kristallnacht" verboten worden war, das Kunsthistorische Institut in der "Kommode", das er selbst eingerichtet hatte, zu betreten, sah er seine Hoffnung, daß ihn sein internationales Renomée und die Vielzahl seiner Schüler schützen würden, getäuscht. Im April 1939 emigrierte er nach Basel. Im Winter 1943 kam er dort durch einen Gasunfall ums Leben.

 Seine für seine Familienmitglieder bestimmte Autobiographie, die er kurz vor seinem Tod abgeschlossen hatte, ist von der Weigerung durchdrungen, zu verdammen, und die Schlußkapitel, in denen Goldschmidt von den Gründen berichtet, die ihm das Leben in Deutschland unmöglich machten, gehören in ihrem klaglosen Duktus zu den ergreifendsten Zeugnissen dieser Zeit. Sein Stoizismus hat die Zeitgenossen nicht weniger beeindruckt als seine wissenschaftliche Leistung. Er hat Wilhelm Pinder, den Matadoren der Berliner Kunstgeschichte und wie er Mitglied der Akademie der Wissenschaft, zu einer bemerkenswerten und letzlich rätselhaften Geste veranlaßt. Pinder, der 1933 in Stockholm hinter Goldschmidt zurückstehen mußte, widmete ihm nach dessen Tod im Berlin des Jahres 1944 eine lange Abschiedsrede, die mit der Bemerkung schloß, daß er im Ausland die Unversehrtheit der deutschen Kunst repräsentiert habe, während sie in Deutschland selbst in Trümmer fiel.

Rübenverarbeitung

Der Chemiker und Physiker Franz Carl Achard (1753 - 1821) gewinnt im Chemischen Laboratorium der Akademie Zucker aus der Rübe. Diese Methode war der Modellversuch für die Technologie der künftigen Zuckerherstellung aus Zuckerrüben. Achard beschäftigte sich seit 1786 auf seinem Gut in Kaulsdorf mit dem Zuckerrübenanbau und richtete 1799 ein Gesuch an den König Friedrich Wilhelm III., es möge ihm ein Privileg für die Fabrikation von Rübenzucker erteilt werden. Der König lehnte dies zunächst ab. Nach weiteren Versuchen mit positiven Resultaten gewährte ihm der König ein Darlehen von 50.000 Talern zum Ankauf eines Gutes im schlesischen Kunern, wo er im März und April 1802 die erste Zuckerfabrik in Betrieb nehmen konnte, die auch als Versuchs- und Lehranstalt diente. Die im Akademielaboratorium entwickelte Technologie verbreitete sich rasch in Europa und veränderte die Handelsmärkte für Zucker und die Nebenprodukte des Verfahrens ebenso wie den Pflanzenbau in der Landwirtschaft Norddeutschlands.

Eduard Zeller

Selten, daß ein Gelehrter so eins wird mit seinem Werk: Eduard Zeller, das heißt Die Philosophie der Griechen; griechische Philosophie, das heißt zunächst einmal 'Zeller'. Mehr als 65 Jahre lang hat Eduard Zeller an seinem Werk gearbeitet; fast 100 Jahre nach seinem Tod bleibt es unüberholt, ja unüberholbar. Nach Weltkriegen, inmitten der Umbrüche der Moderne und der Modernismen steht die Singularität des Zellerschen Werkes erst recht vor Augen. Dabei ist 'der Zeller' ein typisch deutsches Buch geblieben: meist nur einige Zeilen Text, der Rest ist Anmerkung. Lesbar ist das kaum, doch jedem Benutzer unendlich hilfreich und unentbehrlich. Ansätze zu französischen und englischen Ausgaben sind steckengeblieben. Und doch sagte ein französischer Spezialist im vorigen Jahrhundert, bei einer schwierigen Aristoteles-Passage sehe er immer erst einmal nach, was Zeller dazu meine. Und 'Aristoteles' ist nur einer von sechs Bänden.

Hinter dem Werk steht ein scheinbar undramatisches Professoren-Leben: Sohn eines 'Amtmanns' im schwäbischen Kleinbottwar bei Stuttgart, achtes von neun Kindern; fürs Pfarramt bestimmt und darum schon als Sechsjähriger vom Vater ins Griechische eingeführt; auf der Württembergischen Stipendienbahn über Maulbronn ins Tübinger Stift gelangt, Studienabschluß 1835, Doktortitel 1836; dann hauptsächlich 'Repetent' am Stift, bis 1847 der Ruf nach Bern die Selbständigkeit des Professors brachte und zugleich die Familiengründung ermöglichte; weitere Stationen Marburg (1849), Heidelberg (1862) und Berlin (1872), samt Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie; Rektor der Humboldt-Universität 1878; der Achtzigjährige erst kehrte zum Ruhestand nach Stuttgart zurück, wo er, von jüngeren jetzt unterstützt, bis zuletzt die Neuauflagen seines Werkes betreute. Dramatisch allerdings waren die Anfänge in Tübingen, durch Kontakt und Freundschaft mit zwei Gelehrten, die damals die Grundfesten von Theologie und Kirche zu erschüttern schienen, Ferdinand Christian Baur und David Friedrich Strauss. Strauss' 'Leben Jesu' erschien 1835. Das Maß der Erregung, die der historische Zugriff auf die Evangelien und die Anfänge des Christentums damals auslöste, fast bis zur Ketzerverfolgung, ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. Zeller ergriff entschieden Partei und schrieb manch kämpferisches Pamphlet; Baur wurde schließlich sein Schwiegervater.

Die Berufung von Strauss an die neu gegründete Universität Zürich hat den Schweizer Kanton in politische Wirren gestürzt; als Bern Zeller zum Professor berief, gab es auch dort politischen 'Zellerlärm' ob angeblicher 'Religionsgefahr', der sich allerdings wieder legte. Dem Ruf nach Marburg folgte Zeller vor allem wegen der weit besseren Bibliotheksverhältnisse. Der hessische Landesherr allerdings insistierte, daß Zeller als Philosoph, nicht als Theologe berufen wurde; so war dieser seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt. Das vitale Interesse an der theologischen Stellungnahme hat er beibehalten. Aber sein Feld war, was er die 'Wissenschaft vom reinen Denken' nannte. Bis ins 18. Jh. hinein hatte die Philosophie sich um ihre eigene Geschichte kaum gekümmert; Kant hat Platon wohl nie im Original gelesen.

Der Wandel kam durch Schleiermacher und Hegel; ihre Wirkung hatte, durch sekundäre Vermittler, Tübingen voll erreicht. Zeller kam von der Theologie: Eben in den Untersuchungen über das Urchristentum war dem Kenner des Griechischen die Bedeutung der griechischen Philosophie aufgegangen. Das eigene Werk aber, dessen erster Band 1844 erschien, nannte er ausdrücklich "kein philosophisches, sondern ein geschichtliches Werk". Er distanziert sich sowohl von der bloßen Faktensammlung wie von Hegelschen Konstruktionen; es gehe um "die Tatsachen", doch so, daß "aus der gegebenen Überlieferung selbst durch kritische Sichtung und geschichtliche Verknüpfung die Einsicht in ihre Bedeutung und ihren Zusammenhang zu gewinnen" sei. Seine eigentliche Form hat Zellers Werk erst mit der zweiten Auflage angenommen, die 1856 - 1868 erschien. Das Einzigartige ist denkbar einfach: Die "gegebene Überlieferung" beansprucht Vollständigkeit. Man lese sämtliche Quellen im Original, analysiere sie und setze jede Einzelheit genau an den richtigen Platz: dies ist Die Philsosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung.

Was solch ein Programm an Zeitaufwand und Energie erfordert, wobei die kontinuierliche Beachtung der Sekundärliteratur noch dazukommt, ist zu ahnen; nachgetan hat es keiner. Hermann Diels, selbst ein unerhörter Schaffer, hebt mit Recht auch schon "die ungeheure, nicht bloß intellektuelle und künstlerische, sondern rein manuelle Arbeitsleistung" hervor, die in den rund 5000 Seiten steckt. Letztlich entscheidend aber ist, daß die Texte richtig verstanden sind, daß sie in der Zusammenordnung mit allem anderen ihren Gehalt so recht entfalten können. Dies hat Zeller mit einer Überlegenheit klaren Geistes geleistet, die immer wieder erstaunt, mit gleichbleibender Intensität über mehr als 1000 Jahre antiker Geschichte hinweg. Das Hegelsche Konzept einer Geistesgeschichte hat so in einem der imponierendsten Werke des 'Historismus des 19.Jh.' seine Realisierung gefunden. Was an Einzelheiten dabei zu beurteilen, zu entscheiden, zurechtzurücken war, ausgeführt in Abertausenden von Anmerkungen, was alles auch wiederum kritisierbar ist und seither kritisiert und verändert wurde, ist hier nicht einmal anzudeuten. Eigentümlich ist die Fehlbeurteilung gerade in einem zentralen Bereich, bei Platon. Ihm galt Zellers frühestes Buch, Platonische Studien (1839); es brachte die kühne, später wieder aufgegebene These, Platons Gesetze seien unecht. Für Zeller mußte Platons 'System' in der Ideenlehre von Phaidros, Phaidon und Politeia gipfeln. So wehrte er sich später energisch gegen die neueren Untersuchungen, die zum Umsturz der platonischen Chronologie führen sollten: Heute sieht man, wie Platon nach seinem Hauptwerk, der Politeia, in eine Spätphase der Selbstkritik und der Neuansätze eintritt; dabei scheint die logische Intensivierung des 'späten Platon' weithin sogar interessanter als der Entwurf der Ideenlehre.

Zeller scheint den Einbruch des Modernen hintanzuhalten; schon in den Nachrufen erscheint er als ein Mann des "vorigen Jahrhunderts". Erstaunen, ja irritieren mag dabei die scheinbar unerschütterliche geistige Sicherheit, die grundstürzenden Zweifel nicht zu kennen scheint. Schon Nietzsche hat sich daran geärgert. "Die alten Philosophen reden zu uns nicht mehr in der mitteilsamen Art, wie sie zu Zeller geredet haben", formulierte Karl Reinhardt nach dem ersten Weltkrieg. Hermann Diels, mit Zeller durch jahrzehntelange Freundschaft verbunden, schrieb einmal: "So...stört es mich doch immer etwas, dass ich jedesmal genau weiss, was Zeller über jedes Ding denken und sagen wird, während das Unberechenbare und oft Widerspruchsvolle der Mommsen'schen Art den Eindruck des Dämonischen hervorruft." Nein, 'dämonisch' war Zeller nicht. Ein Fundus an Frömmigkeit verbindet sich mit Aufklärung und Fortschrittsoptimismus zu einer geistigen Welt, die weder Weltkriege noch Weltkrisen ahnen läßt. Und doch, wenn der Philosophie die metaphysische Dimension und wenn der Historie die Philosophie abhanden kommt, würde dann nicht auch die 'Philosophie der Griechen' zu einer mit Informationen überfüllten Hülse? Eduard Zeller ist in jener schmalen Übergangsepoche zu Hause, als die traditionelle Philosophie soweit in Distanz gerückt war, daß sie historisch werden konnte, und doch noch so lebendig blieb, daß sie eine Lebensarbeit fraglos wert war.

Was hat die Weltstadt Berlin dem Schwaben bedeutet? Er war etabliert, ja berühmt und ging aufs 60. Lebensjahr zu, als die neue deutsche Metropole ihn berief. Er hat sich in Berlin wohlgefühlt, er bejahte das Bismarck-Reich trotz süddeutscher Vorbehalte, er hat insbesondere die Mitarbeit in der Akademie sehr ernst genommen und keine Sitzung versäumt; und er hat die Möglichkeiten eben der Akademie zur Durchführung von Großprojekten genutzt: Commentaria in Aristotelem Graeca. Er hatte diesen Riesenbestand spätantiker Philosophie, der so viel historisch Wichtiges, so viele Fragmente älterer Philosophen erhalten hat, in uralten Drucken mit besonderer Mühe durchgearbeitet. Jetzt gewann er den entscheidenden Mitarbeiter, Hermann Diels, den er 1878 von Hamburg nach Berlin holte, wo dieser alsbald Mitglied der Akademie (1881), dann auch (1886) Professor wurde. Mit der Autorität der Akademie ließ sich ein internationales Team organisieren; die Finanzierung war schwierig, aber sie gelang. In seiner Gedächtnisrede auf Zeller konnte Diels mitteilen, daß der letzte Band der Commentaria sich im Druck befand - insgesamt 23 voluminöse Bände, mit vorbildlichen Indices versehen. Ein Bestseller ist daraus nicht geworden; und doch greift weltweit jeder Spezialist dankbar und bewundernd nach dem, was hier bewältigt ist, eine der bedeutendsten editorischen Leistungen der Berliner Akademie - ergänzend zu jenem von Zeller bereits zuvor geschaffenen Monument der Griechischen Philosophie. Nachdrucke halten es präsent.

  • Walter Burkert E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, I, II, III, Tübingen 1844-1852, 2. Aufl. I, II1, II2, III1, III2, Tübingen 1856-1868 Endfassung: I71923 (in 2 Bänden), II15 1922, II24 1921, III15 1923, III25 1923; Nachdrucke seit 1963.
  • E. Zeller, Kleine Schriften I-III, hg. H. Diels, Leipzig 1910/11 darin 'Biliographie' von O. Leuze, III 513-558 'Gedächtnisrede auf Eduard Zeller' von H. Diels, III 465-511, = Abh. Akad. Berlin 1908,2 Seminario su Eduard Zeller, 15/16.9.1987, Annali della Scuola Normale di Pisa III 19.3, 1989, 1065-1254.
  • Hermann Diels, Hermann Usener, Eduard Zeller, Briefwechsel I-II, hg. D. Ehlers, Berlin 1992.

"Das Directorium [der Akademie] hat jährlich ein Praemium von etwa fünfzig Ducaten zu Ausarbeitung einer wichtigen und dem Lande nützlichen Materie aus den Wissenschaften oder Litteratur auszusetzen und das Problema durch die Zeitungen bekannt zu machen. Es werden zu dieser Ausarbeitung zwar sonderlich auswärtige Gelehrte eingeladen, jedoch aber sollen auch die Abhandlungen einheimischer Gelehrten, nicht weniger Mitglieder der Academie angenommen werden." (§ XX des neuen Akademiestatuts von 1744)

MünzenPraemium
Den Preisschriften lag der aufklärerische Gedanke zugrunde, durch Geld- und Reputationsversprechen einen möglichst großen, nicht regional begrenzten Kreis von Gelehrten und Gebildeten für die Auseinandersetzung mit Fragen zu gewinnen, von denen sich die Akademie möglichst große Fortschritte in wissenschaftlicher und praktischer Hinsicht versprach. Das erste Thema war ein physikalisches: Sur l`Électricité.

Auslese und Produktion von Erkenntnis
"Der Zweck der Akademie ist auf keine Weise Vortrag des bereits bekannten und als Wissenschaft geltenden, sondern Prüfung des Vorhandenen und weitere Forschung im Gebiet der Wissenschaft." (§ 1 der neuen Statuten der Akademie vom 24. 1. 1812)

Zweck
1812 tritt das lang erwartete neue Statut der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Kraft und bringt eine gründliche Reformierung dieser Einrichtung.

Nunmehr vom Staat und nicht mehr aus der Verwertung eingeräumter wirtschaftlicher Privilegien finanziert, bilden Akademie und Universität die Zentren der Erkenntnisproduktion und -vermittlung. (Siehe auch: Woche 2). Durch organisatorische Veränderungen verliert die für Wissenskritik und Forschung zuständig gewordene Akademie trotz weiterbestehender Verbindungen allerdings fast alle ihre "Anstalten": das Physikalisch-Mathematische Kabinett, die Sternwarte, das Chemische Laboratorium, das Mineralogische Cabinett, den Botanischen Garten, das Zootomische Museum, die Zoologische Sammlung und das Archäologische Museum. Bei ihr verblieben nur die Bibliothek und das 1766 gegründete Archiv. Beide existieren bis heute.

Teil der Reformierung ist auch eine Neubestimmung zur Öffentlichkeit. Die Akademie ist gehalten, im Jahr drei öffentliche Sitzungen zu veranstalten: am 24. Januar, dem Geburtstag des Erneuerers der Akademie, Friedrich II., am Geburtstag des (jeweils herrschenden) Regenten und am 3. Juli, am Geburtstag von Leibniz. Damit waren "Friedrichstag" und "Leibniztag" geboren.

Friedrich Wilhelm Joseph von SCHELLING

Der Sohn einer schwäbischen Pfarrersfamilie besuchte von 1790 bis 1795 das Tübinger Stift, das einen praktisch-theologischen Ausbildungszweck verfolgte. Die besonderen Beziehungen des Stiftes zu Frankreich und die Nachwirkungen der Französischen Revolution von 1789 faszinierten den jungen Schelling und die meisten seiner Kommilitonen. Seine gelegentlichen "Disziplinlosigkeiten" versöhnten durch die glänzenden fachlichen Resultate. Er studierte sehr intensiv die philosophischen Werke von Herder, Kant und Leibniz sowie des Mythologie-Forschers Heyne und der Kant-Epigonen. Sein besonderes Interesse galt der Bibelkritik, dem Erkennen der Prozesse des Werdens, der Prozeßabläufe in den Seinsbereichen. Seine Magisterarbeit widmete sich der historischen Erläuterung verschiedener Ursprungsmythen, die er in "vernunftkritischer Weise" á la Kant analysierte.

Die Arbeiten in seiner Stiftszeit stehen ganz im Zeichen des aufklärerischen Geschichtsdenkens von Herder und Lessing. In Kants Philosophie erblickte er ein starkes Mittel, um gegen die Maßlosigkeit der Geltungsansprüche religiöser Dogmen vorzugehen. An Spinoza faszinierte ihn die methodische Stringenz, wie seine Würzburger Vorlesungen "System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere" von 1804 belegen. Im Tübinger Stift als (Links-) Kantianer bekannt, beschäftigen ihn die noch ungelösten Probleme in der Philosophie Kants, wie die in der "Kritik der reinen Vernunft" von Kant selbst angestoßene Frage von Sinnlichkeit und Verstand. Sein Verständnis der ursprünglichen Identität zwischen Verstand und Sinnlichkeit führt ihn in Abwandlung des Kantischen transzendentalen (Erkenntnis-) Subjekts in ein absolutes Subjekt und damit zur gedanklichen Verwandtschaft mit Fichte. Mit ihm verbindet er seine Idee des absoluten Subjekts, die in Selbstbestimmung und Freiheit des Geistes die revolutionären Kräfte in sich birgt. Das "Älteste Systemprogramm" (1796) zeigt die tatsächliche Reichweite der produktiven Weiterentwicklung des kantischen Problems der Subjektivität und der Handlungsfähigkeit des Subjekts.

Schelling drang zum Problem der Geschichte vor, nach deren Verständnis in der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts die Menschen über ihr Selbstbewußtsein hinaus zum Gebrauch ihres Verstandes zwecks Verbesserung ihres Handelns zu belehren sind. In der Tradition von Vico, Herder, Lessing und Möser, Geschichte als Aktionsfeld menschlichen Handelns zu begreifen, orientiert sich Schelling auf die Bedingung der Möglichkeit des Zusammenhangs des Menschen mit seiner Umgebung, die Beziehungen des Menschen mit der Natur sowie von Natur und Geschichte. Das Problem der Tätigkeit des Menschen erscheint ihm als zentraler Drehpunkt zwischen den subjektiven und objektiven Erscheinungen. Mensch und Natur wurden von ihm nur als unterschiedliche Formen von Tätigkeit, von Produktivität, gedacht. Die geschichtsphilosophische Fragestellung des absoluten Ich im Sinne eines Prozesses des Zu-sich-selbst-Findens, des Werdens aus der Natur, führt Schelling etwa seit 1795 zur objektiven Seite des universalgeschichtlichen Subjekt-Objekt-Entwicklungsprozesses, zum Naturprozeß.

Von 1796 bis 1797 war er als Hofmeister (Hauslehrer) bei den Baronen von Riedesel tätig, mit denen er im Frühjahr 1796 nach Leipzig übersiedelte. In der Leipziger Universität ließ er sich immatrikulieren und begann mit umfangreichen naturwissenschaftlichen und mathematischen Studien. 1797 erschien bereits sein historisch-genetisches Philosophiekonzept "Ideen zu einer Philosophie der Natur". Die Bekanntschaft mit Henrik Steffens beschert ihm einen Freund und naturwissenschaftlich gebildeten Diskussionspartner, der seine Philosophie schöpferisch interpretierte. In der Naturphilosophie verfolgte Schelling die Absicht, das Gewordensein der objektiven Dinge, ihr Entstehen prozessual zu verdeutlichen. Die Natur wird als "natura naturans", als "Inbegriff alles Geschehenden" begriffen und dadurch selbst zum Objekt der Geschichte deklariert. Mensch und Natur sind (historisch-genetisch) miteinander verbunden.

Durch die letztliche Vermittlung Goethes gelang 1798 die Berufung Schellings als Professor der Philosophie an die Universität Jena. Die Jahre in der Jena-Weimarischen Bildungs- und Wissenschaftslandschaft (1798 - 1803) gehören zu den philosophischen Meisterjahren Schellings, in denen er z. T. enge Beziehungen zu den bedeutendsten Persönlichkeiten in Kunst und Wissenschaft wie Fichte, Goethe, Hegel (ab 1801) und Schiller unterhielt und eine begeisterte Studentenschaft hinter sich wußte. Dort entstand auch eines seiner Hauptwerke, das "System des transzendentalen Idealismus", in dem ein systematischer Zusammenschluß von Natur und Ich dargelegt und die Naturphilosophie als Basis aller genetischen Prozesse postuliert wurde. Im Rückgriff auf das "Älteste Systemprogramm" gestaltete Schelling darin auch seine Idee einer neuen Mythologie, die in poetischer Absolutheit dargestellt wurde.

1803 wurde Schelling an die Universität Würzburg berufen und fand unter der Studentenschaft wieder den gewohnten Beifall. In den "Aphorismen über die Naturphilosophie" betonte er erneut seinen absoluten Naturbegriff (natura naturans), wobei das Absolute nur noch in abgeschwächter Beziehung zum menschlichen Handeln gedacht war. Gott ist (wieder) die Natur und umgekehrt. Unter dieser Prämisse griff Schelling das Geschichtsproblem erneut auf und erklärte den Menschen und die realen Dinge des Seins als Prozeß des Abfallens von Gott, in Abhängigkeit der kulturellen Entwicklung seiner Zeit als zunehmende Distanz des Natürlichen vom Göttlichen. Mit dieser Hinwendung geriet Schelling zunehmend in den Gedankenkreis seiner frühen Beschäftigung mit dem Mythos, das ihn nicht mehr losließ. Im Frühjahr 1806 bricht Schelling seine Lehrtätigkeit in Würzburg ab, begibt sich nach München und wird dort Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Mit der Gründung der Münchner Akademie der Bildenden Künste (1808) wird er deren Generalsekretär. Während seines Aufenthalts in Erlangen (1820 - 1827) hält er nur noch gelegentlich und semesterweise Vorlesungen. Als Ende des Jahres 1826 die Universität in München eröffnet wurde, gehörte Schelling zu den Erst-Berufenen.

Nach Hegels Tod (1831) setzten sich u. a. die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt sowie Karl Friedrich von Savgny für Schellings Berufung nach Berlin ein, was zunächst fehlschlug. Die Kgl. Preussische Akademie der Wissenschaften nahm ihn aber am 12.4.1832 als Auswärtiges Mitglied auf. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. erfolgte Schellings Berufung nach Berlin, wo er am 15.11.1841 seine erste Vorlesung über die bereits in München vorgetragenen Überlegungen zur Philosophie der Mythologie und Offenbarung hielt. Da er nun seinen Wohnsitz in Berlin hatte, konnte er 1842 als Ordentliches Mitglied in dei Preussische Akademie der Wissenschaften gewählt werden. Schelling, der als Kritiker der idealistischen Philosophie und Anhänger des Kantianismus wichtige Beiträge zur Geschichts- und Naturphilosophie geliefert hatte, starb - wenig beachtet von der Öffentlichkeit - am 20. 8. 1854 im ostschweizerischen Kurort Bad Ragaz.

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