Der Arbeitskreis Frauen in Akademie und Wissenschaft wollte zum Verständnis der neuzeitlichen Wissenschaft einen innovativen Beitrag leisten. Um die Veränderung der Formen, Mechanismen und Begründungen der Einbeziehung und Ausschliessung von Frauen sichtbar machen zu können, wurde die soziale Welt der Wissenschaft als ein Arbeitssystem betrachtet. In einzelnen Fallstudien wurden vor dem Hintergrund der sozialen Differenzierung des Wissenschafts sowie Familiensystems und der Geschlechterrollen die strukturellen Bedingungen erforscht, welche die wissenschaftlichen Karrieren von Frauen und Männern zwischen 1700 und 2000 geprägt haben.

 

Ein weiteres Ziel des Gesamtvorhabens des Arbeitskreises war es, im Rahmen der Feiern des 300. Jahrestages der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften im Jahr 2000 eine internationale Konferenz zum Thema "Frauen in Akademie und Wissenschaft" durchzuführen. Die Veranstaltung sollte einer breiten, interessierten Öffentlichkeit erstmals die Akademiegeschichte in einer Frauen und Geschlechterperspektive vergegenwärtigen. Sie erweiterte dabei den Blick über die Akademie hinaus auf die Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft im neuen Millenium.

 

Die internationale Konferenz fragte zum einen nach der Verschränkung von Wissenschaft und Männlichkeit, zum anderen nach den Zusammenhängen, durch die diese Koppelung ihre intellektuelle Überzeugungskraft und ihre strukturbildende Wirksamkeit erhalten konnten. Die vier Sektionen der Konferenz haben die 'longue durée' des strukturellen Wandels des Arbeitssystems Wissenschaft in der Geschlechterperspektive historisch und soziologisch vergleichend diskutiert:

  • Wie verändern sich Ort und Topographie der wissenschaftlichen Arbeit?
  • Welchem Wandel unterliegt die Organisation der wissenschaftlichen Arbeit?
  • Wie wandelt sich die Regulierung von Eintritt und Mitgliedschaft?
  • Wie verändern sich Anerkennungssysteme und die wissenschaftliche persona?

 

Neben den konventionellen Medien des Vortrags sollten Bild und Film die Präsentationsform erweitert und die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit unter den Bedingungen ihrer massenmedialen Vermittlung schärfer in den Blick gerückt werden. Die Fragen:

  • Wie läßt sich Wissenschaft mit der Kamera bei der Arbeit beobachten?
  • Was erzählen Wissenschaftler über sich und über andere im Film?
  • Welche Bilder inszeniert der Film von der Wissenschaft?
  • Welche Bilder erzeugt Wissenschaft über den Wissenschaftler im Film?

 

Dieser vergleichende Blick sollte dazu beitragen, zentrale Fragen der gegenwärtigen Wissenschafts und Geschlechterforschung zu bündeln. Hierzu zählte vor allem die Frage, wie der Differenzierungsprozeß der modernen Wissenschaft mit der Reproduktion und Stabilisierung von Geschlechterrollen konvergiert und welche Trends zunehmender oder abnehmender Relevanz von Geschlecht in diesem Prozeß zu beobachten sind. Es ging also um die Frage, unter welchen historischen Bedingungen und in welchen kognitiven und kulturellen Rahmen die Teilnahmechancen von Frauen variieren. Das Vorhaben setzte daher mit dieser Problemstellung bei verschiedenen Ebenen an:

  • Der historisch vergleichende Zuschnitt beschäftigte sich mit dem Zeitraum von 1700 bis 2000, die Einzelprojekte erforschen historische Sequenzen, insbesondere Übergangsperioden und Schwellen.
  • Der institutionell vergleichende Zuschnitt befaßte sich mit Ähnlichkeiten und Unterschieden der Institutionen respektive Organisationen Haus, Akademie, Universität, Forschungsinstitut in diesem historischen Zeitraum. Der die Arbeits und Wissensformen vergleichende Zuschnitt befaßte sich mit dem Wandel der Arbeitsweise und organisation der Wissenschaft.
  • Der interdisziplinär vergleichende Zuschnitt erstreckte sich auf Astronomie, Literaturwissenschaft, Chemie und Biologie und zum anderen, insbesondere im 20. Jahrhundert, auf die spezifisch disziplinäre Veränderung der Arbeitsweise und der Organisation.

 

Für die Schließung bestehender Forschungslücken hat der Arbeitskreis fünf Einzelprojekte initiiert, die unterschiedliche Sequenzen der 'longue durée' untersuchten und die Entwicklung eines interpretativen Konzepts unterstützen:

  • Die Trennung von Haushalt und Akademie als Arbeitssystem der Astronomie im frühen 18. Jahrhundert
  • Die kulturellen Netzwerke der Wissenschaft und informalen Kommunikationsgemeinschaften in Berlin nach 1800
  • Die Leistungen von Frauen in den Unternehmungen der Akademie (1890 1949)
  • Die Herausbildung der Technischen Assistenz in der Chemie im frühen 20. Jahrhundert
  • Die Inklusionsbedingungen von Biologinnen in Deutschland 1960 1998

 

Der Arbeitskreis hat sowohl seine konzeptuellen Vorstellungen als auch Einzelprojekte im Rahmen wissenschaftlicher Tagungen sowie auf eigenen Workshops zur Diskussion gestellt. Der erste Workshop des Arbeitskreises wurde vom 12. bis 13. Dezember 1998 in der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt und beschäftigte sich vor allem mit der historischen Perspektive des Gesamtprojekts. Der zweite Workshop fand am 19. November 1999 statt und behandelte wissenschafts und organisationssoziologische Fragestellungen im Hinblick auf Disziplinendifferenz, Organisationsziele und Karrierebedingungen.

Kontakt
Dr. Ute Tintemann
Referentin
Referat Arbeitsgruppen
Tel.: +49 (0)30 20370 633
tintemann@bbaw.de 
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